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19.11.2007

Tango... Pressestimmen...

Aus der Ankündigung zum 26. Theatertreffen der Jugend 2005 in Berlin

In Zeiten, in denen einerseits längst Reiseunternehmen Nostalgie-Reisen auf den Spuren des mythischen Helden Che Guevara in Kuba und Bolivien anbieten, andererseits sich in Amerika 30.000 junge Leite in der Aktion „silverringthing“ als Protest gegen sexuelle Zügellosigkeit zur Enthaltsamkeit vor der Ehe verpflichten, setzt sich Generation Tango auf ganz eigene Weise mit der 68er-Bewegung auseinander: Als Vorlage wählten sie sich Mrozeks „Tango“ aus dem Jahre 1964, in dem der polnische Autor sich geradezu visionär mit der Frage beschäftigte, wie sich eine junge Generation in einer Welt, in der scheinbar alle Freiheiten erkämpft, alle Normen und Tabus gebrochen sind, verhalten soll. Mit einer Mischung aus Liedern, Videosequenzen und Tanzszenen zeigen die jungen Schauspieler witziges und intelligent politisches Theater.

Das Ensemble über sich und die Produktion

In einer Welt, in der absolute Freiheit regiert und die Eltern-Generation schwelgt in freier Liebe, freier Rede, freier Kunst - wie in Slawomir Mrozeks Stück “Tango“ -sucht die intellektuelle Jugend nach neuen Werten. Mit übersteigerter Ironie, ja mit grotesken Szenen wird der Zusammenprall der Generationen vermittelt: Auf der einen Seite die spät 68er Generation.

Der Vater, der mit Experimenten und im Pyjama die Zeit totschlägt, klopft Sprüche, wie.,, Nieder mit den Konventionen! Hoch die Dynamik!“ Skandierte Lehrsätze, die zu leeren Formeln werden. Der Sohn Arthur kontert mit reaktionärer Philosophie ä la Schopenhauer verzweifelt die abgedroschenen Phrasen. (“Nichts ist möglich, weil alles möglich ist.“) Ungebrochen schwärmt er für verbindliche Normen und zwingt die Familie durch seine eigene Hochzeit zur Rückkehr in die Schranken bürgerlicher (Schein-) Moral. Auf die Extreme der 68er folgen die umgekehrten Extreme der nächsten Generation. So ist Arthur der erste Held Mrozeks, der sucht und leidet. Auf der Suche nach einem Ideal scheitert er. Und er muss feststellen, dass es eine große, unüberwindbare Schlucht zwischen den Idealen und dem wirklichen Leben gibt. Bei Mrozek endet die Sehnsucht nach Ordnung in einer Diktatur. Die TEGS haben einen anderen Schluss gewählt. ...Beides Möglichkeiten mit aktuellem gesellschaftlichem Bezug...

Postdramatische Elemente wie das Auflösen der Figuren, das Nutzen des Stückes als Textlieferant und das Aufheben von Zeit und Verlauf der Ursprungsgeschichte. Das Stück Generation:Tango besteht zum Beispiel aus Assoziationen zum Thema Revolution: Che Guevara und Rainer Langhans, Werbung, und die Lieder der Zeit, dazu Texte von Mrozek - auch aus anderen Stücken - zeichnen die Collage aus. Die Beschäftigung mit dem Gedanken, wo denn heute noch eine Revolution möglich ist, führt zu einer Diskussion um die aktuelle Parkplatzsituation an der Schule. Und doch sind da die gleichen Schwierigkeiten, die jede Generation zu meistern hat... der Umgang mit Werten wie Treue vs. Untreue, wann setze ich Grenzen und wie gehe ich um mit dem Tod.

... Jede Generation hat ihr eigenes Scheitern, auch wenn der Glaube an die goldene Revolution 68 nie zu sterben scheint.
 

 Die Jury über die Auswahl

Über jeder Zeit, jeder Epoche, die im positiven wie negativen Sinne das Leben der Menschen in einem Lande nachhaltig geprägt hat, liegt viele Jahre ein Schleier der Unberührbarkeit. Das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft flüchtet sich in Tabus oder mythische Überhöhung, je nachdem, ob eigene Schuld und Verstrickung verschleiert oder das eigene Bemühen um Veränderung zum Guten, auch im Falle des Scheiterns, ohne Abstriche für die Geschichtsbücher bewahrt, am besten noch überhöht werden soll. So dauerte es in Deutschland fast dreißig Jahre, bis die sog. „68er-Generation‘ die Tabus im Umgang mit der Nazi-Zeit brechen konnte, endlich die Stirn hatte laut und deutlich die Fragen danach zu stellen, welche Rolle die eigenen Väter in Zeiten des Krieges und der Gewaltherrschaft denn eigentlich gespielt hätten.

Wieder sind gut 30 Jahre vergangen:
Und da trifft diese Generation der „Alt68er‘ — so nennt man sie heute und so nennen sie sich wohl auch selbst nicht ohne Stolz — in derselben Weise das kritische Aufbegehren der Nachwachsenden. Die Kinder und Enkel der heute 60-Jährigen haben genug davon, sich zuhause oder in der Schule predigen zu lassen, welch glorreiche Zeiten das damals doch gewesen seien, in denen man gleich serienweise die gesellschaftlichen Tabus gebrochen und politisch die Landschaft radikal aufgemischt habe. Und wie dankbar die jungen Leute von heute doch sein müssten, dass sie heute die Freiheiten genießen dürfen, die ihnen ihre Opas seinerzeit im Strahl der Wasserwerfer, mit einem entschlossenen „Ho-Ho-Ho-Chi-Min“ auf den Lippen, auf den Straßen des Landes erkämpft hätten. Und wie wenig politisch die Jungen von heute doch seien, und wie nur noch konsumorientiert sie heute doch lebten, und ... und ... und ...

In Zeiten, in denen einerseits längst Reiseunternehmen Nostalgie-Reisen auf den Spuren des mythischen Heiden Che Guevara in Kuba und Bolivien anbieten, andererseits sich in Amerika 30.000 junge Leute in der Aktion „silverringthing“ als Protest gegen die sexuelle Zügellosigkeit der 68er-Zeit zur Enthaltsamkeit vor der Ehe verpflichten und dafür als äußeres Zeichen für jeden sichtbar einen silbernen Ring tragen, setzt sich die Produktion „Generation Tango“ der Ernst-Göbel-Schule aus Höchst/Odw. auf ihre ganz eigene Weise mit dieser Zeit auseinander. Als Vorlage wählten sie sich Mrozeks „Tango“, jenes Stück aus dem Jahre 1964, in dem der polnische Autor sich geradezu visionär mit der Frage auseinander setzte, wie sich eine junge Generation in einer Welt, in der scheinbar alle Freiheiten erkämpft, alle Normen und Tabus gebrochen sind, verhalten soll. Allerdings gehen sie sehr frei mit der Textvorlage um, zerlegen sie in postdramatischer Manier in ihre Bestandteile, suchen sich heraus, was sie brauchen können und mischen es mit eigenen Texten, Liedern, Videosequenzen und Tanzszenen und setzen alles revueartig zu einem neuen Ganzen zusammen.

Was wir auf der Bühne erleben, ist der tastende Versuch junger Leute, zum einen den Mythos der 68er-Zeit zu brechen, der für die Erklärung der Welt von heute nicht mehr taugt, zum anderen in Zeiten, in denen alles erlaubt und möglich erscheint, ein eigenes Profil zu gewinnen, etwas zu formulieren, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wenn gleich zu Beginn in einer Video-Sequenz der AltKommunarde und ehemalige Bürgerschreck Rainer Langhans, in unschuldiges Weiß gekleidet, saft- und kraftlos auf einer Bettstatt ruht und über seine Vergangenheit lamentiert und dieser Videoausschnitt sich gebetsmühlenartig durch das ganze Stück wiederholt, wenn die jahrzehntelang als Freiheitshymnen hochstilisierten Lieder jener Zeit als billige Pausenfüller herhalten müssen und die Repräsentanten der alten Generation meinen, mit Sätzen wie „ Aufruhr — das ist der Fels, auf dem der Fortschritt seinen Tempel baut die Jungen zu politischen Taten ermuntern zu müssen, dann wird gnadenlos ein falsches Pathos entlarvt, das ein nüchternes und kritisches Nachdenken über politisches Handeln verhindert, das auf der anderen Seite aber wieder möglich wird, wenn die Jungen der älteren Generation ins Stammbuch schreibt: „Die Verletzung aller Normen ist eure Norm“ und damit klar machen, dass auch die Väter die Weisheit nicht für sich gepachtet haben.

Freilich geht die Gruppe auch mit sich und ihrer eigenen Generation nicht sonderlich schonend um, wenn etwa auf der Bühne die SV der Schule im Bemühen um politisches Engagement sich zusammensetzt und Argumente für einen neuen Schulparkplatz sammelt, das Ganze aber in totaler Folgenlosigkeit mündet nach dem Motto “Aber gut, dass wir mal drüber geredet haben!“ Diese Szene zeigt auch — neben vielen anderen — wie frisch und unbekümmert die Gruppe aufspielt, zu wie viel Ironie und Selbstironie sie fähig ist, wie ernst zwar, aber doch nicht bier-ernst sie ihr Thema nimmt. Dazu trägt nicht zuletzt auch das Bühnenbild bei, das im Wesentlichen aus einer Reihe von alten Bügelbrettern als multifunktionalem Requisit besteht, die immer wieder zu Metaphern des Scheiterns jeglicher Weltumgestaltungsfantasien werden, sei es durch ihre demonstrativ zur Schau gestellte Klapprigkeit, sei es durch das im wahrsten Sinne des Wortes Kleinkarierte der Bezugsmuster aus den Siebzigern, die sich zudem auf der Rückwand der Bühne sowie in etlichen im Zuschauerraum verteilten Monitoren noch einmal als übergroße Projektionen wiederfinden.

Die jungen Leute zeigen, wie man witzig und intelligent politisches Theater — mit einer großen Nähe zum Kabarett — machen kann, ohne in zähes Moralisieren abzugleiten oder weltverbesserisch eine fertige Lösung anzubieten. Nein, die haben sie auch nicht, sie wissen wohl, dass ihr Satz „Nur eine tote Oma ist eine gute Oma“ keine Lösung ihres Problems darstellt. Aber sie geben Denkanstöße, rütteln an Denkmälern und sind dabei so lebendig, dass Rainer Langhans in seiner — man möchte mit Heine sagen — „Matratzengruft“ schon längst nur noch als saft- und kraftloses Relikt aus einer weit entfernten, längst nicht mehr greifbaren Zeit erscheint.

Diese Produktion ist beispielhaft dafür, wie Schülerinnen und Schüler im Umgang mit einer dramatischen Textvorlage ein für sie und ihre Generation aktuelles Problem erschließen und dafür eine der Sache, ihrem Alter und ihren Ausdrucksmöglichkeiten entsprechende Form finden.

Werner Taube
(Dem Begleitheft zum 26. TtdJ 2005 entnommen)